Geistlich betrachtet: Was braucht das Kind?

Ein Zweig und ein paar Steine. Ein längst verschrumpelter Luftballon und ein zerfleddertes Lustiges Taschenbuch. Ein Bild von einem Igel, mit echten Blättern und zu viel Glitzerkleber. Und das wäre nur die rechte Seite vom Fensterbrett, das eigentlich aufgeräumt werden müsste, damit das Christkind kommen kann. Aber erfahrene Eltern und Großeltern wissen, dass daraus nichts wird. Denn das sind eigentlich große Schätze. Schneckenhäuser und Kastanien: „Die habe ich am Tegernsee gefunden!“ Die gelben Hüllen von Überraschungseiern samt dazugehörigem Inhalt: „Die brauche ich noch zum Basteln!“ Seufzend verlassen sie die Kinderzimmer-Schatzkammer, den leeren Müllbeutel in der Hand.

Was Kinder brauchen, das werden sie wohl in den nächsten Tagen wieder auf ihre Wunschzettel schreiben: Ein neues Smartphone wird da wahrscheinlich draufstehen oder der große Lego-Todesstern. Wenn die Kinder wüssten, was das kostet. Aber den Wert bemessen sie anders: „Das brauche ich so dringend!“ Da hilft auch kein Hinweis darauf, dass andere Kinder viel weniger hätten oder dass Kinder doch eigentlich ganz andere Dinge dringend bräuchten.

Auf vieles von dem, was Kinder wirklich dringend brauchen, mussten sie in den letzten Monaten verzichten. Auf Freiheit zum Beispiel oder auf sorglose Eltern. Und ganz besonders auf Nähe zu Anderen oder was noch so eigentlich zum Kind- und Menschsein dazugehört. Das lässt sich nicht wieder ausgleichen, auch nicht mit Geschenken. Und das lässt sich auch nicht auf einen Wunschzettel schreiben. Vieles hat einen anderen Wert bekommen, nicht nur für Kinder.

Etwas Stroh und eine Futterkrippe. Ein paar Windeln und ein Dach über dem Kopf. Mehr hat Gott nicht gebraucht, als er beschloss, zuerst einmal ein Kind zu werden. Er, der das alles geschaffen hatte, hätte es ja auch anders haben können. Aber vielleicht bemisst auch er den eigentlichen Wert ganz anders: Das Menschsein ist ihm so wichtig, dass er sich selbst in diese Schatzkammer aus Schneckenhäusern, Smartphones, Müllbeuteln und Stroh hineinwagt. Und die Nähe zu uns will er so dringend, dass er sich dafür verletzlich und bedürftig macht.

Erfahrene Kinder wissen, dass die Eltern und Großeltern so viel schimpfen können wie sie wollen: Selbst, wenn das Fensterbrett nicht aufgeräumt ist – das Christkind kommt trotzdem. Und es kommt auch in diesem, wirklich unaufgeräumten, Jahr. Viele von unseren Wünschen haben es nicht einmal bis aufs Fensterbrett geschafft, bei dem Durcheinander. Und vieles hat einen anderen Wert bekommen, weil deutlich geworden ist, dass auch das nur geschenkt ist.

Solche Besinnlichkeiten gehören zur Adventszeit dazu, auch wenn sie vielleicht abgedroschen klingen. Aber sie sind wertvoll, so wie auch die Erinnerungen an die eigene Kindheit, die dann doch wieder da sind, wenn wir ein paar Tannenzweige, Kerzen und Bilder mit Glitzerkleber sehen. Denn das Tolle am Kindsein ist ja, dass wir selbst einmal welche waren. Oder vielleicht noch ein wenig geblieben sind. Und das Tolle an Gott ist, dass er selbst auch mal ein Kind war. Und uns später erklärt hat, dass ihnen das ganze Himmelreich gehört.

Großeltern, Eltern und Kinder legen also kurz den Müllbeutel, in den dieses Jahr eigentlich gehört, zur Seite und versuchen die Schätze dazwischen zu entdecken.