1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Seit 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Deutschland, folgen ihrem Glauben, ihren Festen und Bräuchen, sprechen ihre Sprache, sind Deutsche und repräsentieren deutsche Kultur – was aber nicht alle ihrer Nachbarn so sahen und sehen. Die Ausgrenzung, ja Feindseligkeit hat eindeutig christliche Wurzeln.

Nach Ansicht von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist das Verhältnis von Juden und Christen in Deutschland inzwischen so gut wie noch nie zuvor. "Jahrhundertelang wurde Antijudaismus in Kirchen gepredigt. Inzwischen ist dies lange überwunden, und die Kirchen sind Partner im Kampf gegen Antisemitismus" (epd, 11.3.2021). Wie erfreulich – für Juden, aber auch Christen! – wenn Christen ihre Feindseligkeit gegen Juden überwinden!

Reicht die Partnerschaft nicht sogar tiefer als „nur“ bis zur gemeinsamen Ablehnung der Judenfeindschaft? Immerhin beten auch Christen zum Gott der Juden: dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, so wie Jesus zu diesem Gott gebetet hat. Dieselben Psalmen sind für Juden wie Christen Herzensgebete, dieselben Gebote Richtschnur des Handelns. Jahrhundertelang haben sich Christen von der jüdischen Gemeinschaft abgegrenzt, jüdischen Glauben als überwunden betrachtet und geradezu bekämpft. So ist beides da und sitzt tief: die Verwandtschaft im Glauben und die Ablehnung.

Beides reicht zurück ins Neue Testament, beides hat seinen Platz im Herzen des bekehrten Pharisäers Paulus. Er ringt mit sich, wie er sich zu seinen ehemaligen Glaubensgenossen stellen soll. Eines ist dabei für ihn unumstößlich: Sie sind und bleiben „Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“ (Röm 11,28f.). Auch wenn der Glaube an Christus Juden und Christen entzweit: An Gottes Liebe (die doch Christus verkörpert) zu seinem ersterwählten Volk ändert das nichts!

So kann doch an die Stelle der Ablehnung etwas anderes treten: Respekt, auch vor dem, was Christen fremd erscheint. Und mehr als Respekt: die Bereicherung des eigenen Glaubens durch jüdisches Beten, Feiern und Bibelauslegen. Nehmen wir doch dieses Jubiläumsjahr zum Anlass, mehr von unseren jüdischen Nachbarn zu erfahren. Rabbiner Steven Langnas und Eva Ehrlich, Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde, haben etwas zu dieser Gemeindebriefnummer beigetragen. Herzlichen Dank an beide – und Ihnen eine anregende Lektüre!

Ihr Pfarrer Sebastian Degkwitz