Vorsichtig schaut ein kleiner Engel nach unten auf die Erde. In dieser Nacht ist alles anders: Sie fliegen hinunter und singen vom Frieden auf Erden. Aber Frieden auf Erden soll es geben?
Das wär ja mal was Neues, sagt sich ein kleiner Engel. Keiner der älteren Engel hat davon je berichtet, immer gibt es da doch Streit und Zank oder noch schlimmer. Ob das noch anders wird? Nur ein Narr würde hoffen, dass Friedenszeiten ein Jahrhundert währen könnten.
Vorsichtig schauen die Hirten nach oben an den Himmel. In dieser Nacht ist alles anders. Ein Stern leuchtet ihnen in ihre Dunkelheit, taucht alles in so ein friedliches Licht. Ach, wenn sich tatsächlich etwas ändern würde in ihrer Welt? Es wäre wie im Traum, sagt sich einer der Hirten und fürchtet, die anderen lachen ihn aus.
Vorsichtig überprüft der Weise seine Aufzeichnungen. In dieser Nacht stehen die Sterne anders. So ungewöhnlich, dass er fast von einer Zeitenwende sprechen würde. Humbug, werden sie meinen: Der Friede-Fürst ist nur eine alte Prophezeiung, ein romantischer Traum. Frieden kann nur sichergestellt werden durch multilaterale Verträge und kluge Allianzen. Durch militärische Abschreckung, sagen die anderen, denn Verträge nützen nichts angesichts der Willkür. Sterne oder Hoffnung allein richten da nichts mehr aus. Sie machen Politik für die Realität, die da ist und behalten Recht.
Alles wie immer? In Bethlehem begegnen sie sich. Zusammen stehen sie vor dem Stall. Der Engel will nicht rein. Was soll da schon sein, fragt er sich. Der Weise will nicht rein. Da gehört er nicht hin. Der Hirte will nicht rein – da bin ich doch jeden Tag, grummelt er. Aber, ach, nach dir, sagt der Engel und lässt dem Hirten den Vortritt. Der zieht den Hut ab, kämmt sich die zottligen Haare, tritt ein und fällt auf die müden Knie. Der Weise dahinter neigt sich, wie es sonst nur andere vor ihm tun.
Und der Engel folgt ihnen, streicht sich über das Gewand und summt leise, nimmt die Männer in den Arm. Da stehen sie alle. Arm in Arm, sehen das Kind in der Krippe, sehen das Heil der Welt. Hoffnung mit menschlichem Gesicht. Hoffnung für Engel und Hirte und Weise verzaubert sie und leuchtet heller als der Stern über dem Stall. Voller Mut tritt der Hirte wieder vor den Stall lässt den Engel stehen, rennt zu seinen Freunden und singt vom Frieden auf Erden. Voller Bedacht zieht der Weise heim und weiß: Der Tyrann Herodes darf davon nichts wissen. Denn nur Hoffnung rettet vor aller Tyrannei und Willkür. Die darf er ihnen nicht nehmen, nicht mit aller Grausamkeit der Welt.
Und auch der Engel kehrt zurück zu den anderen. Hoffentlich sieht keiner die Träne in meinen Augen und merkt keiner wie ich nach Stall rieche, sagt er sich. Aber Friede auf Erden, singt er jetzt laut, den gibt es – und ich habe ihn gesehen! Dieser wird der Friede sein. Nicht: Die Welt wird friedlicher. Das wäre als Versprechen ja schon groß genug. Es ist der ganz große Friede. Friede – nicht nur irgendwie, sondern umfassend. Ein Friede – Shalom –, der nicht nur die Abwesenheit von Gewalt ist, sondern der die ganze Erde, das ganze Leben heil macht. Alles, was kaputt ist.
Ich kenne die Sehnsucht danach. Nach einem Frieden, der alles umfasst. Dass das Zerbrochene heil wird und das Zerbrechliche geschützt. Dass unter den Weihnachtsbäumen kein Streit entsteht und an den Fronten nicht mehr gestorben wird, dass kein böses Wort mehr fällt und in der Nacht keine Tränen mehr fließen. Dass Pandemien und Hunger und Gewalt enden, diesmal für immer. Dass Menschen einander in den Armen liegen und ein Aufatmen durch die Welt geht.
Dieser wird der Friede sein. Das ist noch nicht da – im Gegenteil. Doch einmal im Jahr gibt der Stern Orientierung und Hoffnung. Und Hoffnung brauchen wir, sie ist Rebellion gegen den Zustand.
Pfarrer Philipp Bäumer